Das Werk von Dudjom Lingpa „Buddhaschaft ohne Meditation“: Ratschläge zur Enthüllung des eigenen Antlitzes als die Natur der Wirklichkeit, der großen Vollkommenheit“, ist eine der wesentlichen Dzogchen-Schriften, welche in vier Abschnitten folgende Themen aufzeigen:
(1) die Bestimmung des Grundes durch die Sichtweise, (2) die Praxis durch die Kultivierung des Pfades, (3) die Belehrungen über das Verhalten, das die Stütze für diese beiden ist, und (4) die Art und Weise, wie die Frucht verwirklicht wird.
aus der Einleitung: Eine Girlande zur Freude der Glücklichen; von Sera Khandro.
Da wir uns im kommenden Jahr 100 Tage lang diesem Werk widmen werden, gibt es hier eine kurze Einführung durch den Kommentar der Sera Khandro.
2. Die Huldigung
Mit unerschütterlichem Glauben huldige ich dem allgegenwärtigen Herrscher und ursprünglichen Beschützer, der Darstellung der höchsten Städte der Erscheinungen des ursprünglichen Bewusstseins.
Der Dharmakaya, der Sugatagarbha, durchdringt alle Wesen, vom Dharmakaya, Samantabhadra, bis hinunter zum Geistesstrom eines Blutegels. So wie ein Sesamkorn mit Öl gesättigt ist, ist er allgegenwärtig. Wenn ihr euch fragt, wer dieser allgegenwärtige Herrscher ist, er ist der Dharmakaya , Samantabhadra, also ist er der Herrscher. Er entsteht nicht durch frische Ursachen und neue Zustände, sondern er entsteht von alters her aus sich selbst heraus, also ist er Ursprünglich. Er ist ein Beschützer, weil er der Beschützer und Verteidiger sowohl der weltlichen Existenz als auch von Nirvana ist. Er [manifestiert sich als] Erscheinungen des ursprünglichen Bewusstseins, weil er als die fünf Kayas und die fünf Buddha-Familien aus den kausalen fünf Facetten des ursprünglichen Bewusstseins hervorgeht. Das Buddhafeld der Buddha-Familie entspringt dem kausalen Urbewusstsein des absoluten Raumes der Phänomene. Dies gilt ebenso für die [Buddhafelder der] Vajra-, Juwelen-, Lotus- und Karma-Familien, die aus dem spiegelgleichen ursprünglichen Bewusstsein, dem ursprünglichen Bewusstsein der Gleichheit, dem unterscheidenden ursprünglichen Bewusstsein, dem ursprünglichen Bewusstsein der Vollendung und so weiter entstehen. All diese Erscheinungsäußerungen sind Darstellungen in der Weite der letztendlichen Wirklichkeit des Geistes des Dharmakaya, Samantabhadra, sie sind also eine Zurschaustellung.
Was den Begriff Stadt anbelangt, nimmt man die Analogie der menschlichen Städte in dieser Welt, wie Peking in China und Regionen wie Kapilavastu und Varanasi in Indien. Eine Stadt wird so genannt, weil sie ein Treffpunkt für achtzehn Arten von Handwerkern und für einen kontinuierlichen Strom von Händlern und Reisenden ist, die kommen und gehen. Was die reinen Städte der Gottheiten betrifft, die so unvorstellbar zahlreich sind wie die Sandkörner des Ganges, so befindet sich in der zentralen Region das Buddhafeld der Buddha-Familie. Im Osten befindet sich das Buddhafeld der Vajra-Familie, im Süden das Buddhafeld der Ratna-Familie, im Westen das Buddhafeld der Padma-Familie und im Norden das Buddhafeld der Karma-Familie. Alle diese sind die obersten und einzigen unter allen Städten, deshalb sind sie die erhabensten Städte.
Sogar Devas und Maras können die Sugatagarbha nicht von den Geistesströmen der Menschen trennen, die Vertrauen und Ehrfurcht vor ihr haben, deshalb ist sie unerschütterlich. Unter den drei Arten des Vertrauens – das bewundernde Vertrauen, das schützende Vertrauen und das unumkehrbare Vertrauen – ist dies das Vertrauen, das alle drei verbindet. Oder man nennt es unumkehrbares Vertrauen in Bezug auf euren erworbenen Glauben, dass ihr nicht mehr in Samsara zurückkehren werdet, wenn ihr das Vertrauen in das ursprüngliche Gewahrsein, den Dharmakaya, den Sugatagarbha, identifiziert und gewonnen habt.
Die Huldigung wird mit diesem Vertrauen ausgesprochen, und in dieser Hinsicht gibt es die vornehmste Huldigung der Begegnung mit der Sicht, die mittlere Huldigung der Gewöhnung durch Meditation und die niedrigere Huldigung, die von den drei Anerkennungen durchdrungen ist.[1] Die vornehmste Huldigung der Begegnung mit der Sicht beinhaltet gleichzeitig Verwunderung, Glaube und Verständnis bezüglich deiner eigenen Sicht. Was ist das? Verwunderung ist das unveränderliche, nicht begriffliche ursprüngliche Bewusstsein des absoluten Raumes der essentiellen Natur der Realität; Glaube ist die Synthese und Vollkommenheit all der nicht zusammengesetzten, spontan verwirklichten Qualitäten der Kayas, Facetten des ursprünglichen Bewusstseins, des Pfades und seiner Verwirklichung im Mandala des ursprünglichen Gewahrseins, Bodhicitta; und aufgrund deines Vertrauens in die Offenbarung des absoluten Raumes der Gleichheit der drei Kayas, gibt es Verständnis für das Fehlen auch nur des geringsten Interesses, anderswo nach Ergebnissen zu suchen. Kurz gesagt, ich huldige mit Worten der Ehrerbietung für die Demonstrationen der Reinheit und Gleichheit von Samsara und Nirvana.
[1] Die drei Erkennungen können auf verschiedene Weise interpretiert werden, z.B. das Erkennen aller Formen als der Nirmaṇakaya, aller Klänge als der Sambhogakaya und aller Gedanken als das Dharmakaya.
Aus „Eine Girlande zur Freude der Glücklichen. Eine überaus klare Erläuterung der Worte und ihrer Bedeutung: Eine Erklärung der mündlichen Überlieferung des glorreichen Gurus, als Anmerkungen zur Natur der Wirklichkeit, der großen Vollkommenheit, „Buddhaschaft ohne Meditation‘.“ von Sera Khandro. Übersetzt vom Ngak’chang Rangdrol Dorje (Enrico Kosmus, 2020). Möge es von Nutzen sein!
Bleibt dran, der dritte Teil folgt.
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