Verfasst von: Enrico Kosmus | 4. November 2020

Lebendiger Buddha

Über Rituale der Verehrung und den Faktor Hingabe im Buddhismus

Ein Ritual kann hier definiert werden als eine äußere Handlung, die regelmäßig und beständig in einem Kontext ausgeführt wird, der ihr eine religiöse Bedeutung verleiht, die in der Handlung selbst nicht unmittelbar erkennbar ist. Eine zusammengesetzte Einheit, die aus einer Reihe von untergeordneten rituellen Handlungen besteht, kann als Zeremonie bezeichnet werden. Solche Feiern sind inzwischen untrennbar mit allen organisierten Religionen verbunden.

Mit diesen Blumen verehre ich den Buddha; möge diese Tugend für meine Befreiung hilfreich sein; so wie diese Blumen verwelken, wird auch unser Körper verwesen.

aus einer Blumen-Puja im Theravada

Die Praxis des Buddhismus wird am häufigsten mit den ruhigen, besinnlichen und in sich gekehrten Aspekten der formalen Meditation in Verbindung gebracht, wobei die vielen Mittel, mit denen wir solche Qualitäten wie Freude, Fröhlichkeit und die Erhebung des Herzens kultivieren können, wenig beachtet oder verstanden werden.

Die hingebungsvollen Aspekte unserer Praxis, wie sie durch die stille Meditation gesehen werden, können sinnlos oder sogar töricht erscheinen, aber die Erfahrung lehrt uns, dass ruhige Meditation allein kein garantierter Zugang zum Erhabenen ist – es kann ein mühsamer Kampf mit einem eigensinnigen Geist sein!

Wir müssen den Umgang mit den drei Juwelen zu einem lebendigen, integralen Teil unserer Weltsicht machen. Und wenn wir einmal fest in diesen drei Juwelen verankert sind, haben wir eine solide Grundlage für die Kultivierung von Konzentration und Ruhe.

Den Geist aus seinem weltlichen Dasein zu erheben, sodass er Sorgen, Zweifel und Bedauern hinter sich lässt, ist ein wichtiges Streben in der Dharma-Praxis. Dies ist jedoch keine Zuflucht, die wir einfach nach Belieben herbeizaubern können; es braucht die richtigen Bedingungen, und wir müssen sie schaffen. Bereits zur Zeit Buddhas war dies ein wichtiges Thema, sodass der Buddha empfohlen hat, sich hingebungsvoller Praxis durch Anrufung und verehrungsvolle Handlungen zu widmen.

Eine Sache führt, wenn sie sich entwickelt und verfolgt wird, einzig und allein zur Ernüchterung, zur Leidenschaftslosigkeit, zur Beendigung, zur Beruhigung, zur direkten Erkenntnis, zum Selbsterwachen, zur Aufhebung der Bindung. Welche eine Sache? Die Rückbesinnung auf den Buddha. Dies ist eine Sache, die – wenn sie entwickelt und verfolgt wird – nur zu Ernüchterung, Leidenschaftslosigkeit, Beendigung, Beruhigung, direkter Erkenntnis, Selbsterwachen und Befreiung führt.

Anguttara Nikaya 1.287-296

In dieser Weise werden die zehn Rückbesinnungen durchgeführt, die neben der Rückbesinnung auf den Buddha noch den Dharma, die Sangha, des Heilsamen, des Verdienstes bzw. des Tugendhaften, der Großzügigkeit, der Devas, des Atems, des Todes, des Körpers und des Zur-Ruhe-Kommens umfasst.

In Buddhagosas Ausführungen im Visuddhimagga heißt es, dass diese Praxis einen mit Vertrauen, Achtsamkeit, Verständnis und Verdienst ausstattet. Er erklärt auch, dass der Praktizierende „das Gefühl bekommt, als ob er in der Gegenwart des Meisters leben würde“.

In der tantrischen Theravada-Tradition werden auch Visualisierungen der Buddha-Achtsamkeit praktiziert. Die Dhammakaya-Meditation, die von dieser südlichen tantrischen Tradition beeinflusst wurde, verwendet die Visualisierung eines klaren kristallklaren Buddha-Abbildes in der Körpermitte und die Wiederholung des Mantras Samma-Araham.

Während im Theravada-Buddhismus diese Praxis auf Buddha Shakyamuni beschränkt ist, werden im Mahayana-Buddhismus Buddhanussati und verwandte Achtsamkeitspraktiken auf mehrere Buddhas und Bodhisattvas wie Maitreya, Avalokiteshvara, Tara und Amitabha ausgedehnt. Diese Praktiken beinhalten manchmal auch die geistige Vergegenwärtigung ihrer physischen Qualitäten, Körper und „Buddha-Felder“. Berühmte Darstellungen dazu finden sich beispielsweise in den Sutras über Buddha Amitabha und Buddha Amitayus. Eines dazu ist das Pratyutpanna Samadhi Sutra aus dem 1. Jhdt. V.Chr. aus der Gandhara-Periode, das andere ist Amitayurbuddhanusmrti Sutra. Solche Beschreibungen bzw. Teile davon finden sich immer wieder in gängigen liturgischen Texten, die für die Meditation verwendet werden.

Die Rückbesinnung auf den Buddha wie von ihm im Palikanon empfohlen:

Da, Mahanama, magst du des Vollendeten gedenken: ‚Dies, wahrlich, ist der Erhabene; er ist der Heilige, Vollkommen Erleuchtete, der im Wissen und Wandel Bewährte, der Gesegnete, der Kenner der Welt, der unvergleichliche Lenker führungsbedürftiger Menschen, der Meister der Götter und Menschen, der Erleuchtete, der Erhabene. Zu einer Zeit aber, Mahanama, wenn der edle Jünger des Vollendeten gedenkt, da ist sein Geist weder von Gier umsponnen, noch von Hass und Verblendung umsponnen; und angesichts des Vollendeten ist sein Geist zu solcher Zeit recht gerichtet. Recht gerichteten Geistes aber, Mahanama, gewinnt der edle Jünger Begeisterung für das Ziel, Begeisterung für die Lehre, gewinnt er Freude an der Lehre. Im Freudigen aber erhebt sich Verzückung; verzückten Geistes beruhigt sich das Innere; im Inneren beruhigt, empfindet er Glück, und des Glücklichen Geist sammelt sich.

aus dem Mahanama Sutta

Ferner zählt der Buddha dann die weiteren Rückbesinnungen auf und empfiehlt, dies bei den verschiedenen Aktivitäten beizubehalten:

Auch beim Gehen, Mahanama, magst du diese Betrachtung über den Erleuchteten üben; beim Stehen magst du sie üben; beim Sitzen magst du sie üben; beim Liegen magst du sie üben; auch während du deiner Beschäftigung nachgehst, magst du sie üben; auch während du im Hause voller Kinder wohnst, magst du sie üben.

aus dem Mahanama Sutta

In der Praxis der Rückbesinnung auf die Devas empfiehlt der Buddha dies auch auf die verschiedensten Götter anzuwenden. Eine wichtige Gruppe von Göttern waren damals bereits die vier Großen Könige, die im Vajrayana als die vier Richtungsschützer bekannt sind.

Aber Ananda, egal ob Bhikkhu oder Bhikkhuni, ob Laie oder Laiin, hält sich an den Dhamma, lebt aufrecht im Dhamma, wandelt auf dem Weg des Dhamma, es ist durch solch einen, dass der Tathagata respektiert, verehrt, geachtet, verehrt und in höchstem Maße geehrt wird.

aus dem Mahaparinibbana Sutta

Daher können Zeremonien und Rituale als äußere Handlungen, die innere kontemplative Übungen ergänzen, nicht als dem kanonischen Buddhismus fremd oder mit ihm unvereinbar bezeichnet werden. Im Gegenteil, sie sind ein integraler Bestandteil der lebendigen Tradition aller Schulen des Buddhismus, einschließlich des Theravada.

Die Gefahr, dass rituelle Rituale als Selbstzweck missverstanden und nicht als Mittel zur Kanalisierung der hingebungsvollen Empfindungen auf die richtige Weise eingesetzt werden, ist ebenfalls gegeben. Wenn sie fälschlicherweise praktiziert werden, werden sie eher zu Hindernissen als zu Hilfen für das spirituelle Leben.

Korrekt angewendet, als Mittel und nicht als Zweck, können Rituale dazu dienen, heilsame Geisteszustände zu erzeugen, während bestimmte andere Rituale, die kollektiv durchgeführt werden, als Mittel zur Stärkung der sozialen Solidarität unter denjenigen dienen können, die die gleichen spirituellen Ideale teilen.

Der Buddha betonte oft die Bedeutung von Saddha, des Glaubens oder des Vertrauens in ihn als den Vollkommenen Lehrer und in seine Lehre als das Mittel zur Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburt. Unerschütterliches Vertrauen in das dreifache Juwel – den Buddha, den Dharma und die Sangha – ist ein Kennzeichen des edlen Schülers, während der Buddha einmal erklärte, dass diejenigen, die genügend Vertrauen in ihn haben, genügend Zuneigung für ihn für den Himmel bestimmt sind.

Im Vajrayana wird die Praxis der Rückbesinnung nicht nur auf Buddha Shakyamuni – etwa als historische Person – praktiziert, sondern auf „Buddha”. Da „Buddha” der erwachte Zustand ist, erfolgt somit durch die Praxis der Gottheitenmeditation eine beständige Besinnung und Vergegenwärtigung dieses erleuchteten Seins. Diese Art der Besinnung kann stufenweise entwickelt werden oder augenblicklich erfolgen.

Die augenblickliche Vergegenwärtigung lautet oft:

In einem einzigen Moment der Besinnung verwandle ich mich in den erhabenen Manjushri, mit dem Leuchten des Augustmondes geschmückt, in vollkommener Großzügigkeit eine Utpala-(Blume) haltend mit dem Reichtum und Schmuck vollendet, usw.

aus der kurzen Sadhana des weißen Manjushri (Dudjom Tersar, Bd. 25)

Neben dieser momentanen Rückbesinnung muss die praktizierende Person nun die einzelnen Aspekte der meditierten Gottheit kennen und im selben Moment vergegenwärtigen. Das setzt natürlich voraus, dass die Person die betreffende Meditationsgottheit und das Mandala zuvor in ausführlicher Form mit allen Details praktiziert und verinnerlicht hat.

Bei der stufenweisen Entfaltung gibt es einen Ablauf von Meditation von Leerheit, gefolgt von einem stufenweisen oder augenblicklichen Entstehen daraus, das eine Schöpfung von Welt und Wesen ist, wobei Welt und Wesen als Mandala und Gottheit realisiert werden. Nach dieser vollständigen Entfaltung werden zeitlose Weisheit und die gerade entwickelte Visualisation miteinander verschmolzen. Dann folgen Gabendarbringung und Lobpreisungen. Am Ende dieses Prozesses wird dies durch die Rezitation eines zentralen Mantras – dem Herz-Mantra oder Essenz-Mantra – in seinem wesentlichen Sein verwirklicht. Anschließend gibt es verschiedenste Aktivitäten, die aber je nach Praxis optional sind und schlussendlich wird die Visualisation wieder aufgelöst. Zentraler Punkt bei diesem Vorgang ist die Bereinigung von extremen Auffassungen, die sich in einem Klammern an Beständigkeit der Erscheinungen bzw. einer Nichtigkeit von Erscheinungen äußern. Diesen Auffassungen wird durch die Auflösung der Visualisation und einem Wieder-Erscheinen entgegengewirkt. Zwischen Auflösung und dem erneuten Erscheinen geschieht das Ruhen in der Natur des Geistes. Aber das ist eine umfangreiche Thematik, über die ich ein anderes Mal schreiben werde.

Möge es von Nutzen sein!


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