Eine kurze Geschichte der Thröma-Nagmo-Praxis aus der Dudjom-Linie
Die Lehren der Neuen Schätze von Dudjom umfassen die Gesamtheit der Schätze, die vor ungefähr 160 oder 170 Jahren vom tibetischen Meister Thragthung Dudjom Lingpa offenbart wurden, und die Gesamtheit der Schätze, die von Dudjom Rinpoche, Jigdral Yeshe Dorje, offenbart wurden. Zusammen werden diese Sammlungen von Schätzen die Neuen Schätze von Dudjom genannt. Thragthung Dudjom Lingpa war ein Stellvertreter Guru Rinpoches, der von Guru Rinpoche selbst vorhergesagt worden war. Dieser sagte, nachdem er von vielen Dakinis darum gebeten worden war: „Eine Manifestation von mir wird in zukünftigen dunklen Zeiten, wenn sich die fünf Arten des Verfalls zeigen, eine körperliche Form annehmen. Dieser Meister-Schatzfinder wird meine Schätze enthüllen und viele dazu führen, durch die Praxis dieser Linie die Ebene eines Gewahrseinshalters zu erlangen.“ So wurde Thragthung Dudjom Lingpa zu Beginn des 19. Jahrhunderts genau in Übereinstimmung mit den früheren Vorhersagen von Guru Rinpoche und anderen tibetischen Meistern wie Dodrub Künzang Shänpen in Tibet geboren. Die von Thragthung Dudjom Lingpa enthüllten Schätze haben der tibetischen buddhistischen Tradition kraftvoll Heilsames und Nutzen gebracht. In ihnen sind Dutzende von Yidam-Lehren, Schlüsselanweisungspraktiken und Sadhanas enthalten. Unter all diesen Praktiken ist die Lehre von Thröma, der zornvollen Schwarzen Mutter, die effektivste und nützlichste Praxis, um Praktizierende in die Lage zu versetzen, die Verwirklichung des Regenbogenkörpers zu erlangen. Der Thröma-Zyklus umfasst die ferne Linie, die nahe Linie und die Linie der reinen Vision. Er enthält Schlüsselpraktiken der Traditionen des Großen Madhyamika, der Mahamudra und der großen Vollkommenheit (Dzogchen).
Der Ursprung der alten Thröma-Linie kann bis in die Zeit von Buddha Shakyamuni zurückverfolgt werden. Thragthung Dudjom Lingpa war eine Reinkarnation des edlen Shariputra, einem der beiden Hauptschüler von Buddha Sakyamuni. Shariputra. Dieser erhielt die Lehren über die Leerheit, der Sicht und Praxis des Großen Madhyamika, als Buddha Sakyamuni über Leerheit, Weisheit, die drei Tore der Befreiung und andere Lehren lehrte. Acht Jahre, nachdem Buddha Shakyamuni ins Nirwana eingetreten war, kam Guru Rinpoche auf diese Welt und praktizierte in Indien den Dharma an vielen heiligen Orten. Als Guru Rinpoche auf dem Selbstentstandenen Kühlen Leichenplatz praktizierte, besuchten ihn viele Dakinis. Eine namens Dakini Yeshe Chöying bot Guru Rinpoche ein Tantra an, und dann gewährte Vajrayogini Guru Rinpoche Ermächtigung und Sadhana der geheimen Thröma-Linie, die eine nicht niedergeschriebene, mündliche Übertragung war. So erhielt Guru Rinpoche die vollständigen Belehrungen der Praxis der Erzeugungs- und Vollendungsstufe der Thröma-Praxis.
Als die 84 Mahasiddhas in Indien lebten, war der erste von ihnen, Saraha, als Mahamudra-Meister bekannt. Thragthung Dudjom Lingpa gilt als eine Reinkarnation von Saraha. Zu dieser Zeit wurde die Essenz der Thröma-Praxis mit den Schlüsselpunkten von Sarahas Mahamudra-Praxis verbunden und in der formlosen Unendlichkeit des Raumes versiegelt. Daher enthält Thröma auch die Schlüsselanweisungen für die Praxis der Mahamudra.
Während der Zeit, in der sich Guru Rinpoche in Tibet aufhielt, baten ihn viele tibetische Schüler und Übersetzer um Ermächtigungen und Belehrungen. Einer seiner 25 Hauptschüler namens Drogben Khye’u Chung Lotsawa wurde später als Thragthung Dudjom Lingpa wiedergeboren. Auch er erhielt die Belehrungen über die Stufen der Erzeugung, Vollendung und die Praxis der Großen Vollkommenheit für diese Schatzlinie direkt von Guru Rinpoche.
Mehrere hundert Jahre später, als die Begründerin der Chöd-Praxis, Machig Labdrön in Tibet lebte, waren die meisten Lehren in der Tradition des tibetischen Buddhismus von Indien aus nach Tibet verbreitet und übersetzt worden. Doch nur die Zhije Chöd-Tradition von Machig Labdrön verbreitete sich von Tibet aus nach Indien. Die Hauptphilosophie der Zhije Chöd-Tradition verbindet die Sicht des Großen Madhyamika mit Übungsmethoden der Tantras, um es dem Praktizierenden zu ermöglichen, die Anhaftung an den Körper zu durchschneiden. Thragthung Dudjom Lingpa wird auch als die Wiedergeburt eines Sohnes von Machig Labdrön – Gyalwa Döndrub – angesehen. Da es sicher gelten kann, dass Gyalwa Döndrub die Zhije Chöd-Linie erhielt, enthalten die von Dudjom Lingpa enthüllten Thröma-Schätze auch die Schlüsselanweisungen des Großen Madhyamika aus der Zhije-Tradition.
Als die Zeit für Thragthung Dudjom Lingpa gekommen war, die Thröma-Schätze zu offenbaren, sah er in einer reinen Vision Zangdog Pälri (das reine Land des Kupferfarbenen Berges von Guru Rinpoche) und brachte den Wunsch hervor, alle Lehren des Chöd zu offenbaren. Dann traf er Saraha und bat ihn um viele Schlüsselanweisungen über Mahamudra und tantrische Praxis. Jedoch dachte er dann: „Die mit Sarahas Mahamudra-Anweisungen vermischten Chöd-Lehren benötige ich nicht.“ Sobald dieser Gedanke im Geist von Dudjom Lingpa aufgetaucht war, verschwand Saraha, und es erschien Guru Rinpoche. Dudjom Lingpa bat Guru Rinpoche, ihm seine Schatzlinien zu übertragen, und bekundete gegenüber Guru Rinpoche klar und deutlich, dass er weder die Zhije Chöd-Tradition noch das Mahamudra Chöd brauche. Dudjom Lingpa bat Guru Rinpoche, eine mit der Lehre der Großen Vollkommenheit verbundene Chöd-Praxis zu übertragen, wie sie in der Vergangenheit in Tibet nie gelehrt worden war. So enthüllte Guru Rinpoche für Thragthung Dudjom Lingpa die mit Dzogchen verbundenen Thröma-Lehren, und dies ist ein Teil der Geschichte dieser Schatzlinie.
Nachdem Dudjom Lingpa sie erhalten hatte und die Zeit gekommen war, den Thröma-Schatz zu Papier zu bringen, erkannte er, dass er nicht in der Lage war, die Dakini-Schrift zu entschlüsseln. Wieder träumte er von Saraha und Padampa Sangye, dem Überliefer der der Zhije Tradition und Lehrer von Machig Labdrön. Nachdem er zu den Linienmeistern gebetet hatte, sagte Padampa Sangye zu Dudjom Lingpa: „Chöd ist eine Lehre aus der Zhije-Tradition. Es ist nicht erlaubt, eine Chöd-Praxis zu verfassen, die die Schlüsselanweisungen der Zhije Tradition ausschließt.“ Da erkannte Dudjom Lingpa den Grund dafür, warum er nicht in der Lage gewesen war, den Schatz niederzuschreiben. Er dachte: „Ich sollte auch die Schlüsselanweisungen von Padampa Sangye aufschreiben, wenn ich den Schatztext niederschreibe.“ Daraufhin übertrug Saraha Dudjom Lingpa all seine mit Mahamudra verbundenen Belehrungen über Thröma aus der Weite der Natur der Wirklichkeit. Doch als Dudjom Lingpa den Schatz aufschreiben wollte, konnte er nur den Anfang des Dakini-Textes niederschreiben. Wieder war er nicht in der Lage, ihn weiter aufzuschreiben. Obwohl er bereits alle Inhalte und Lehren aus der Weite der Natur der Wirklichkeit verwirklicht hatte, benötigte er dennoch die volle Erlaubnis zum Entschlüsseln und Niederschreiben der Dakini-Schrift, und so betete er erneut zu den Linienmeistern. Dann träumte er, dass Machig Labdrön ihm sagte: „Du warst mein Kind und hast die Lehren meiner Linie praktiziert. Deshalb erwarte ich von dir, dass du sie weiterverbreitest.“ In diesem Traum übergaben die Linienmeister Dudjom Lingpa dann erneut ihre Praxismethoden, und da er von ihnen nun die Erlaubnis der Linie der reinen Vision erhalten hatte, konnte er danach die Belehrungen erfolgreich niederschreiben.
In den Thröma-Praktiken, die in der Vergangenheit von anderen Schatzfinder-Meistern entdeckt worden waren, war die Erzeugungsstufe die Hauptpraxis, nebst der Praxis der Vollendungsstufe. Dudjom Lingpas Thröma ist die einzige Chöd-Praxis, die die Erzeugungs- und die Vollendungsstufe mit Dzogchen verbindet. Genau genommen verbindet Dudjom Lingpas Thröma die außergewöhnlichen Schlüsselunterweisungen der Lehren des Großen Madhyamika, der Mahamudra und des Dzogchen. Die Linie umfasst die ferne Linie, die nahe Linie und die Linie der reinen Vision. Im Schatz selbst wird vorausgesagt, dass seine Praktizierenden die Ebene von Gewahrseinshaltern erreichen werden, wenn sie die beiden Stufen in der richtigen Art und Weise praktizieren. Es gab dreizehn Personen, die zusammen mit Thragthung Dudjom Lingpa selbst in Lharung in Sertar (jetzt Lharung Ngarig Nangten Lopling) den Regenbogenkörper erlangten. In der Linie gab es auch viele Schüler, die den Regenbogenkörper während der Zeit erlangten, als Dudjom Lingpa noch am Leben war. Dies ist genau dokumentiert. Zusätzlich wird berichtet, dass es Dutzende oder Hunderte von Thröma-Praktizierenden gegeben habe, die in weit entfernten Gebieten wie Ngari, Nyingchi in Tibet, Co Ngoingbo, Rebgong und Maniganggo usw. den Regenbogenkörper erlangten. Der Schatztext sagt auch voraus, dass Hunderttausende von Praktizierenden in Zukunft durch diese Lehren die Stufe eines Gewahrseinshalters erlangen werden.
(Geschrieben von) der Wiederverkörperung von S.H. Dudjom Rinpoche, Sangye Pema Shepa. Übersetzt vom Ngak’chang Rangdrol Dorje (Enrico Kosmus) und Lama Khachen Sangye Dorje (Christian Paar), 2020.
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