Verfasst von: Enrico Kosmus | 18. Juni 2020

Bodhisattva-Gelübde

Das Gelübde der Bodhisattvas (Anhänger der Erleuchtung) betont hauptsächlich das Einhalten von Bodhicitta oder dem Geist der Erleuchtung. Bodhicitta ist die Geisteshaltung des Übernehmens der Verantwortung, allen Wesen Glück zu bringen und sie zur Erleuchtung zu führen, mit Liebe und Mitgefühl, frei von jedem Rückstand eines selbstbezogenen Interesses, sowie dies in die Praxis zu bringen.[1] Hier nehmen wir nicht nur Abstand davon, anderen zu schaden, sondern wir widmen uns auch im Dienst an anderen.

Das Bodhisattva-Gelübde hat drei große Abschnitte. Der erste ist das „Aufgeben von leidbringenden Taten“, was wiederum zwei Traditionen hat. Gemäß der Tradition des Nagarjuna gibt es achtzehn Hauptregeln, die einzuhalten sind. Entsprechend der Tradition des Asanga gibt es bei den Gelübden des wünschenden Bodhicitta vier allgemeine Vorschriften, damit man die Gelübde nicht verliert und acht Regeln, damit man sie nicht vergisst. Beim Gelübde des angewandten Bodhicitta gibt es vier Wurzelverfehlungen und vierundsechzig kleine Fehler, die man vermeiden sollte.

Der zweite Abschnitt ist das „Ansammeln von heilsamen Taten“. Das ist das Training in den sechs Vollkommenheiten: Freigiebigkeit, ethische Disziplin, Geduld, Fleiß, Sammlung und Weisheit.

Der dritte Abschnitt ist „der Dienst an anderen“. Das ist die Praxis der vier Mittel zum Versammeln oder andere zum Dharma zu bringen. Diese vier sind die Praxis von Großzügigkeit, freundlicher Rede, andere durch den bedeutungsvollen Pfad des Dharma zu führen und selbst auf dem Pfad bleiben.

Gemäß Longchen Rabjam[2] ist das Gelübde für das Bodhicitta des Strebens, die Kontemplation der vier unermesslichen Geisteshaltungen: Liebe, Mitgefühl, Freude und Gleichmut. Das Gelübde des Bodhicitta der Praxis ist, sich in den sechs Vollkommenheiten zu üben.

Das Bodhisattva-Gelübde sollte so lange aufrechterhalten werden, bis man Erleuchtung erlangt. Falls wir Bodhicitta nicht aufgeben, dann wird es in uns auch bei Tod und Geburt, Leid und Freude verbleiben. Seine Kraft des Verdienstes vermehrt sich in uns, sogar im Schlaf oder bei Ablenkung, so wie Bäume auch in der Dunkelheit der Nacht wachsen. Hier könnten Menschen ein Problem mit der Vorstellung haben, die Gelübde auch nach dem Tode aufrecht zu halten. Entsprechend des Buddhismus werden uns körperliche Merkmale wie Körper, Reichtum und Freunde nicht in unser nächstes Leben folgen, aber geistige Gewohnheiten, Überzeugungen, Stärken und Bestrebungen – zusammen mit ihren Auswirkungen, ihrem Karma – werden bei uns bleiben, bis sie gereift oder zerstört sind. Wenn wir also machtvolle Bestrebungen und Anstrengungen machen, dann werden die Gelübde bei uns bleiben und den Verlauf unserer zukünftigen Leben gestalten.

Das Bodhisattva-Gelübde ist viel schwieriger einzuhalten als das Gelübde des Pratimoksha, da  seine Hauptdisziplin im Bewahren der rechten Geisteshaltung und dem rechten Verständnis besteht, während es subtil und schwierig zu kontrollieren ist. Jedoch ist es viel mächtiger und segensreicher, weil wenn wir Bodhicitta in unserem Geist haben, dann können wir niemandem etwas zu leide tun und können nur von Nutzen sein. Das ist keine Frage von Vermeiden geistiger Störungen oder ihrer Quellen, sondern eine Angelegenheit sie zu zerstören oder zu neutralisieren. Beispielsweise eine mitfühlende Haltung befriedet Ärger, das Erblicken der vergänglichen Natur der phänomenalen Existenz mindert Begierde und das Erkennen der Verursachung und/oder dem Fehlen eines „Selbst“ beendet Unwissenheit. Wenn ein Schüler mit wahrem Bodhicitta-Gewahrsein außergewöhnlich intelligent und fleißig, voller Energie und Begeisterung und völlig offen und wertschätzend ist, dann ist er oder sie geeignet, die Disziplinen des Tantra zu betreten und diese noch mehr zu betonen.


[1]                Kommentare des sDom-gSum rNam-Nges von Tulku Tsultrim Zangpo, Seite 695 und von Dzogchen Khenpo Yönen Gyatso, Seite 84a/5-6

[2]                Siehe Sems-Nyid Ngal-gSo von Longchen Rabjam, Seite 33b/5


Aus „Perfect Conduct“ von Dudjom Rinpoche. Übersetzt vom Ngak’chang Rangdrol Dorje (Enrico Kosmus, 2014). Möge es von Nutzen sein!


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