Verfasst von: Enrico Kosmus | 10. August 2015

Vier meditative Erfahrungen

VierFreundeDie vier Erfahrungen und darüber hinaus

Die wichtigste Sache ist, Shine wird euch den wahren Feind zeigen, der euer eigenes Denken ist. Und das ist wirklich wichtig. In der Shine-Praxis gibt es allgemein vier Erfahrungen, die im Tibetischen „dewa dam“ (Wonne), „selwa dam“ (Klarheit), „metogpa nyam“ (Gedankenfreiheit) und viertens die Vision von „nyam shi“ oder der Raum der Leerheit genannt werden. Wenn ihr also einen Gedanken durchdringt und ihn befreit, dann durchbohrt ihr ihn mit eurem Gewahrsein, gleichzeitig kann Glückseligkeit da sein. Manchmal empfindet ihr eine Art von Klarheit – selwa – und manchmal empfindet ihr einen Zustand der Gedankenfreiheit und das vierte ist die Sicht einer panoramaartigen Schau, in der ihr die wahre Natur seht oder wie die Dinge wirklich sind. Die Wichtigkeit bei diesem Shine ist, dass man keine Art einer besonderen Erfahrung hat. Nicht weil wir Shine machen. Nein, der Punkt bei Shine ist, frei von diesen vier Erfahrungen zu sein. Ihr sollt nicht nach Wonne greifen, noch nach Klarheit, noch nach einem Zustand der Gedankenfreiheit im Geist, noch sollt ihr nach der panoramaartigen Erscheinung der Phänomene greifen – nach keiner davon. Der ganze Punkt hier ist, frei von den vier Wiedergeburten zu sein. Wenn ihr in der Glückseligkeit gefangen seid, dann werdet ihr im Götterbereich wiedergeboren. Die Götter und Göttinnen erfreuen sich die ganze Zeit über, daher seid ihr in diesem glückseligen Zustand gefangen. Diese Erfahrungen helfen uns nicht. Diese Erfahrungen erscheinen in Shine, damit wir sie loslassen. Das ist es, worum es in der Meditation geht, nämlich diese Erfahrungen loszulassen. Es geht nicht darum, ein tiefes Verständnis von Glückseligkeit zu erzeugen, sich gut zu fühlen und dann nach immer mehr zu greifen. Auch geht es nicht darum, die Klarheit zu verstehen, in der man die Lichter und wunderschönen Farben sieht. Die Klarheit taucht auch auf, um die groben Gedanken abzuschneiden. Das ist auch Klarheit, aber das ist hier nicht der Punkt. Es ist gut, wenn man ganz und gar durch diese Erfahrungen hindurchgeht, sodass man nicht länger mehr an ihnen festhält. Das ist der Grund, warum man praktizieren muss. Es geht darum, über die Anhaftung an all diese Erfahrungen hinauszukommen, klar?

Zeichen des Fortschritts bei der Praxis

Wie wisst ihr, dass die Praxis funktioniert? Wie kann man das abschätzen? Es ist nicht so schwer, das einzuschätzen. Wenn eure Rohheit sich vermindert hat, dann ist das ein Zeichen. Wenn ihr einen rauen Charakter habt, um damit zu beginnen, dann sollte durch die Meditation euer Charakter sanfter werden. Wenn ihr mehr Mitgefühl habt, dann habt ihr mehr Vertrauen in die Lehren, ihr seid freundlicher zu den Menschen. Die Lehren des Buddha sind nicht nur dazu da, dass ihr zu eurer eigenen Gemeinschaft freundlich seid. Es ist gedacht, zu allen fühlenden Wesen freundlich zu sein. Das ist es, wo es nötig ist, mit Mitgefühl zu arbeiten. Zuerst solltet ihr herausgefunden haben, wie ihr mit anderen fühlenden Wesen umgeht. Zunächst einmal ist es sehr einfach, den geliebten Menschen mit Liebe zu begegnen. Aber dann sollte man die Liebe, die man für seine Familie empfindet, auch den anderen, den Freunden geben. Das ist der zweite Schritt. Drittens sollte man die Liebe, die man den Freunden gegeben hat, nun auch den Feinden geben. Wenn man auch den Feinden mit Liebe begegnen kann, dann wird es einfacher sein, zum vierten Schritt zu gelangen und die Liebe allen fühlenden Wesen geben. Es wird einfacher sein. Andernfalls ist die Aussage, dass alle fühlenden Wesen Eltern sind, nur leeres Geschwätz. Die Aussage bedeutet nichts. Aber zuerst bringt eurer Familie eure Liebe entgegen. Dann gebt sie ganz euren Freunden. Dann gebt sie vollständig euren Feinden. Dann als nächstes, gebt sie allen fühlenden Wesen. Als Buddha davon sprach, dass alle fühlenden Wesen mit uns als unsere Väter und Mütter verbunden sind, sagte er das nicht, um uns zu gefallen. Er sagte es, weil er die Wahrheit sah. Wir haben keine Erinnerung an unsere früheren Verbindungen, das ist unser Problem. Aber mit einer unvergesslichen Erinnerung ist jeder mit dem anderen verbunden. Es ist schwer, das zu akzeptieren. Für mich ist es auch schwer zu akzeptieren, dass ihr meine Väter seid. „Ach herrje,“ denke ich mir. Aber mit seinem Weisheitsauge hat der Buddha gesagt, dass man das sehen wird. Sobald ihr euch der Realisation nähert, werdet ihr die Unendlichkeit der Wesen sehen, die mit euch verbunden sind.

Diese Unterweisungen wurden von Lama Shenphen Dawa, dem Sohn Dudjom Rinpoches gegeben und vom Ngak’chang Rangdrol Dorje (Enrico Kosmus, 2015) ins Deutsche übertragen.


Antworten

  1. Es ist eben nicht der eingeschränkte Geist der „erfassen“ soll, was hier zu shine dargelegt wurde. Der alleinige Wunsch zu verstehen um was es hierbei geht, reicht nicht weit genug, sondern es benötigt die Beschäftigung mit Buddhas Lehren auch besonders eine Offenheit, die man vielleicht am besten mit Hingabe an den Dharma und Devotion beschreiben kann. Und verbunden damit dann ebenso die „Aspiration“ ., etwa in dem Sinne „möge es sich meinem suchenden Geist erschließen , das was ich noch nicht öffnen kann“. Damit sammelt man sogenannten Verdienst an, welcher nötig ist, weil er die Basis gibt den Lehren nicht nur zu begegnen, sondern sie auch für sich nützlich machen zu können. Mit anderen Worten: die Geisteshaltung ist sehr entscheidend für das Verstehen können.

  2. Vielleicht kommt ein grober Mann durch Sanftheit zur eigenen Sanftheit – vielleicht macht es ihm gar keinen Spass –
    Vielleicht braucht er Mitgefühl um genau dieses erst entwickeln zu können – vielleicht geht es ja auch nicht um den groben Mann hier

  3. shine tritt nicht ein, wenn gequält wird. mit stille sitzen und versuchen, den geist zu beruhigen, wird das nicht funktionieren, da die innere qual immer wieder nach außen projiziert wird und an anderen abgearbeitet wird. man könnte fälschlicherweise darauf hoffen, dass sich das irgendwann erschöpft, aber auch das funktioniert nicht, da ein endloses greifen stattfindet, welches sich lediglich geringfügig wandelt. daher solange er sich am quälen erfreut, wird sich bei ihm nix ändern.
    eine änderung seines verhaltens kann bestenfalls eintreten, wenn der die auswirkungen seiner handlungen realisiert, d.h. für den eintritt gibt’s die 4 gedanken, die den geist zum dharma wenden. und dann kann er, nachdem er zuflucht genommen hat, in den pfad der bodhisattvas eintreten. in der dharma-historie gibt’s ein paar solcher typen, siehe angulimala oder milarepa. beide waren mörder und fanden dann ihre lehrer und wurden arhat bzw. erlangten die vollständige erleuchtung.
    solange man lebt hat man „erfahrungen“. aber wichtig ist, nicht an ihnen als „wahrhaft existent“ festzuhalten, sondern sie als traumgleiche erscheinungen zu betrachten, die kein innewohnendes, beständiges sein haben, sondern von ursachen und bedingungen abhängen. auf diese weise kann man sie eben loslassen. sie sind dann wie auf wasser geschriebenes.
    und mit liebe ist einfach „metta“ und „karuna“ gemeint – liebende güte. diese zeigt sich weder in nachlässigkeit, noch in betulichkeiten. liebende güte kann auch bisweilen streng oder auch provokant herausfordernd sein. jedenfalls ist sie frei von ichbezogenheit oder dem ziel, einen vorteil für sich zu erzielen. sie ist auf das wohl der anderen gerichtet.

  4. Wie kann ein grober Mann zur Sanftheit kommen, mit der Erkenntnis alles um ihn herum seine Eltern sind, wenn es ihm egal ist grob zu seinen Eltern zu sein und es ihm sogar Spass macht sie zu quälen?

    Wie kann ich Erfahrungen beim Shine loslassen, wenn das Wichtigste ist sie erst gar nicht zu haben?
    Dann brauche ich diese Praxis doch gar nicht. Übe ich mich nicht darin, habe ich diese Erscheinungen nicht, kann ich mich nicht daran binden.

    Was ist diese Liebe?

    • wie kann man die dunkelheit entfernen, damit das licht erscheint? – genauso könnte man auch fragen. die dunkelheit weicht von selbst, wenn es licht wird.

      • Warum weichst du den Fragen aus und gibst keine Antwort?
        Soll das bedeuten du bist einer von denen vor denen Buddha im Pali-Kanon warnt ihnen nicht zu glauben, denn sie sind nur leere Schwätzer?
        Der grobe Mann wird durch üben von Sanftheit sanft. Warum, er hat die Erkenntnis seine Grobheit bringt ihm jetzt Leid und durch den Glauben, sie bringt ihm später noch mehr Leid.
        Wenn deine 4 Erfahrungen die vier Schauungen sein sollen, dann sind sie zu erreichen um sie zu überwinden. Sind sie überwunden ist das die Grundlage um die Grenzen des Raumes, des Bewusstsein, der Wahrnehmung zu überwinden und sich selbst zu erlöschen.
        Liebe ist Hingabe, aber nicht zu allem Möglichen, nicht zu unheilsamen Dingen oder Personen, sondern zur Lehre und zum Erlösten, zur Erlösung selbst.

      • naja, wenn du meine antworten nicht verstehst…

      • Und um deine Frage zu beantworten will ich dir folgendes Gleichnis geben:
        Da ist ein Mann der will kein Licht sehen, also baut er sich ein Haus ohne Fenster, ohne Lichter und einer dicken Tür. Er richtet sich sein Haus mit Tisch, Stuhl, Schrank und Bett ein. Eingezogen schliesst er die Tür lichtundurchlässig ab. Es wird also draussen Tag und wird Nacht und wird Tag, nur in seinem Haus bleibt es pechschwarz. So lebt er nun Jahrelang. Doch stösst er sich ständig Kopf, Knie, Zehen und Finger und leidet täglich grosse Schmerzen und es ärgert ihn.
        Ist er nicht einsichtig wird er mit Schmerzen sterben.
        Ist er einsichtig wird er die Tür öffnen und Fenster einbauen, oder das Haus ganz verlassen.

      • schön, dass du deine ideen selbst zu beantworten versuchst, aber mein gleichnis von vorher hast du leider nicht erfasst. dein gleichnis geht am thema vorbei. dunkelheit ist die abwesenheit von licht. und somit verschwindet dunkelheit in dem moment, wo licht eintritt. btw… das ist übrigens ein traditionelles beispiel. 😉

      • Dann erkläre meinem eingeschränkten Geist, der deine Antwort nicht fassen kann in eindeutiger Weise:

        Wie kann ein grober Mann zur Sanftheit kommen, wenn es ihm Spass macht zu quälen?
        Wie ist es mit “ Dunkelheit weicht von selbst, wenn es licht wird“ vereinbar?

        Wie kann ich Erfahrungen beim Shine loslassen, wenn das Wichtigste ist sie erst gar nicht zu haben?
        Wie ist es mit “ Dunkelheit weicht von selbst, wenn es licht wird“ vereinbar?

        Was ist diese Liebe?
        Wie ist es mit “ Dunkelheit weicht von selbst, wenn es licht wird“ vereinbar?


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