Der Pfad zur Befreiung vollzieht sich als stufenweise Entwicklung von Sicht, Verhalten und Resultat. Beginnend mit der Einsicht in die Wechselhaftigkeit aller Äußerlichkeit und der Aussicht auf persönliche Befreiung macht man die ersten Schritte auf dem spirituellen Pfad. Ist das individuelle Leiden und sind die persönlichen seelischen Qualen gelindert oder ist man davon befreit, wird das Herz weiter und man kann den Blick leichter auf andere lenken. Die Motivation für die spirituelle Praxis wird größer und so schreitet man mit einer größeren Perspektive weiter. Schließlich wird man durch die geschickte Anwendung der Methoden des spirituellen Pfades so motiviert, dass man die Befreiung im Hier und Jetzt erlangt.
Diese drei Stufen des Befreiungsweges sind die Essenz aller spirituellen Pfade. Egal ob sich eine Stufe länger oder kürzer ausprägt, ob man darauf länger oder kürzer verweilt, sie bauen aufeinander auf, sind Sicht und Methode des spirituellen Pfades.
Egal welche Stufe die für einen selbst geeignete ist, so sollte sie zu einem Verständnis der Geistnatur führen und die störenden Emotionen und täuschenden Wahrnehmungen sollten abnehmen. Je mehr die Störungen und Täuschungen abnehmen, umso mehr praktiziert man den eigentlichen Pfad der Befreiung. Dies ist die Essenz.
Fühlende Wesen der sechs Welterfahrungen
Zwischen Buddhas und fühlenden Wesen besteht essentiell kein Unterschied. Während Buddhas sich der dreifachen Qualität ihrer Geistesnatur gewahr sind, erkennen fühlende Wesen ihre grundlegende Natur nicht. Aufgrund dessen wandeln fühlende Wesen in wiederkehrenden Erfahrungskreisläufen von Leid, Qual, Unsicherheit und Angst. Sie reagieren mit darauf mit den geistig-emotionalen Grundmustern des Festhaltens, der Ablehnung bzw. Abwehr, der Konkurrenz, des Abwertung bzw. der entwertenden Selbstüberhöhung und der Leugnung. Diese Geistesmuster bilden den Widerstand gegen die Offenheit jeglicher Lebenserfahrung und verhindern so eine tiefe und nachhaltige Zufriedenheit.
Da fühlende Wesen sich keine Erfahrungsalternative erlauben, was ja ein Beweis für die grundlegende Offenheit des Seins wäre, wiederholen sie ihre Leid und Qual bringende Erschaffung ihrer Erfahrungswelt. Und so erscheint Samsara – der quälende Erfahrungskreislauf – daraus, was eigentlich schon befreit ist, was die erwachte Wesensnatur ist.
Drei Ebenen oder Stufen von Sicht, Verhalten und Resultat bieten sich nun an, um aus diesen Leidenskreisläufen heraus die offene Wesensnatur zu realisieren. Die drei Stufen bauen aufeinander auf und alle drei führen zur Befreiung. Ihre Unterschiede liegen lediglich in den verwendeten Methoden, die aufgrund der verschiedenen Fähigkeiten der fühlenden Wesen geschickt angewandt werden.
Im Fahrzeug der Shravaka (Hörer), welches den Pfad der persönlichen Befreiung darstellt, wird Anhaftung als das Hauptübel für Leiden und Qualen angesehen. Daher ist die ganze Praxis einschließlich Sicht, Verhalten bzw. Regelwerk und Inspiration darauf ausgerichtet, von Weltlichkeit Abstand zu nehmen und Entsagung zu üben. Dies führt zur Verwirklichung der Selbstlosigkeit, d.h. der Erkenntnis, dass es kein dauerhaftes, unveränderliches, aus sich selbst heraus bestehendes Ich oder Selbst gibt. Da dies auf alle Phänomene zutrifft, gibt es nichts woran anzuhaften wäre. Somit wird ein Zustand realisiert, der jenseits von Sorgen und Leid ist und einen einfachen Frieden darstellt.
Die Pratyekabuddhas (Alleinverwirklicher) erkennen, dass fühlende Wesen einen Geistesstrom besitzen. Dieses geistige Kontinuum muss kontrolliert werden. Durch das Ausführen positiver Taten und das Unterlassen von negativen Handlungen werden entsprechende Gewohnheiten im Geistesstrom gepflanzt. Diese Samen reifen schließlich zur Buddhaschaft.
Im Fahrzeug der Bodhisattvas, das von großem Mitgefühl und der Sicht der Leerheit geprägt ist, stellen Hass und Abneigung das Hauptübel für Leid und Qual dar. Die Praxis der Bodhisattvas ist somit darauf gerichtet, das Trennende und Abweisende abzubauen und „alle Wesen als Gäste einzuladen“. Dies beruht auf der Einsicht, dass echte Befreiung nicht erlangt werden kann, wenn nicht ausnahmslos alle Wesen auch Befreiung erlangen. So erlangt man Herzensweite und nachhaltige Freiheit.
Die Sicht der Befreiungshelden (Bodhisattvas) ist, dass die grundlegende Natur des Geistes frei von jeglichen Extremen und Begrenzungen ist. Da sie Abstand nehmen von den vier extremen Sichtweisen eines Eternalismus, Nihilismus, beiden und weder noch, begründen sie damit den „mittleren Pfad“. Dieser mittlere Pfad, der frei von Extremen ist, ist die Ursache für die Buddhaschaft.
Durch die Anwendung geschickter Mittel und der Sicht der Reinheit bzgl. der Erscheinungen kann Befreiung in diesem einen Leben erlangt werden. Diese Praxisstufe gliedert sich in zwei Teile – einen äußeren und einen inneren Abschnitt. Im äußeren Abschnitt ist Reinheit in Verhalten und Handlung von Bedeutung. Durch die geschickten Mittel meditativer Übungen werden die Umwelt und ihre Bewohner – die fühlenden Wesen – gereinigt und konstruktives Potential wird angesammelt. Durch die Sicht, dass alle relativen Erscheinungen Ausdruck der letztendlichen Wahrheit sind, beginnt man in den verschiedenen Meditationsübungen die unreine Sicht zu reinigen und eine reine Sicht zu entwickeln. Auf einer weiteren Praxisebene realisiert man, dass alles im Geist erscheint. Weiters erfährt man die Untrennbarkeit von Erscheinung und Geist.
Im äußeren Abschnitt spricht man von den allgemeinen Pfaden des Kriya, Upa und Yoga. Der innere Abschnitt gliedert sich auch in drei Aspekte – Maha, Anu und Ati. Allen drei Aspekten ist gemein, dass sie sehr rasche Resultate bringen.
Durch die Übung des Erzeugens wird nichts Neues hervorgebracht, sondern man erzeugt Gewahrsein von der ursprünglichen Natur, wie sie schon immer war. Mittels komplexer Visualisationen werden die Elemente, die Wahrnehmungsorgane und die Bewusstseinsarten gereinigt und als weibliche und männliche Buddhas erkannt. Ein weiterer Grund für die Übung der Erzeugungsstufe ist das Reinigen der vier Arten von Geburt im Daseinskreislauf.
Nachdem die Selbstnatur als Gottheit realisiert wurde, löst man durch die Übungen der Auflösungsstufe wieder alles in Leerheit auf. So wird alles als Projektion des Geistes erfahren und Buddhaschaft verwirklicht.
In einem weiteren Schritt des inneren Abschnitts richtet man den Fokus der Praxis von den Phänomenen und der Selbstnatur auf den inneren Erfahrungsbereich. Dies wird über die Praxis des Energieyogas bewerkstelligt.
Der Gipfel aller Pfade ist dann die Praxis der Großen Vollkommenheit. Erfolgte auf den bisherigen Pfaden eine ethische Schulung, eine Reinigung der Wahrnehmung und des Selbstverständnisses, so gibt es auf dieser Ebene nichts mehr zu schulen oder zu reinigen. Durch die Herzensanweisungen des Lehrers erfolgt eine Einführung in die Weisheitsnatur des Geistes.
Abhängig von der Praxis, der Übungsstärke und den Fähigkeiten des/der Praktizierenden ist es möglich, durch diese drei inneren Yogas in diesem einen Leben die Befreiung zu erlangen.
Buddhas und die Natur des Geistes
Da die fühlenden Wesen jene sind, die in einen Zustand der Verwirrung eingetreten sind, sind Buddhas diejenigen, die diese Verwirrung aufgelöst haben und die dreifache Wesensnatur erkennen. Sie sind sich der Offenheit, der Klarheit und des Mitgefühls der Geistnatur gewahr. Da sie nicht unter Verwirrung leiden, erkennen sie die Offenheit des Geistes, erfahren den Geist als offenen Raum – ohne Kern und Rand, ohne Merkmale, Farbe und Form. Weil sie die Lichtheit und Klarheit des Geistes erkennen, begründen sie kein äußeres Universum mit fühlenden Wesen darin, sondern sehen den Ausdruck der leuchtenden Präsenz der Geistnatur als uranfängliche Weisheitsenergien. Da sie sich der ungehinderten mitfühlenden Natur gewahr sind, erschaffen sie keine Objekte oder Erscheinungen, körperliche Formen und geistige Ansichten.
Da Buddhas anerkennen, dass von je her nie ein Ego bestanden hat, das zu reinigen, zu verwandeln oder aufzulösen gewesen wäre. Sie wissen, dass das angeborene Allgute weit offen, leuchtend klar und ungehindert mitfühlend ist.
[…] […]
By: befreiung MIT und OHNE ... - Seite 22 - Satsang: Satsangforum.de on 26. September 2012
at 15:23
liebe miljenka,
„maha“ bedeutet „groß“.
die drei aspekte maha, anu und ati sind die erzeugungsstufe, die vollendungsstufe und die „große vollkommenheit“. auf der erzeugungsstufe reinigt man die gewöhnlichen schleier der wahrnehmung wie auch das geistesgift des hasses durch bestimmte meditationen. auf der vollendungsstufe führt man übungen des energieyoga (inneres feuer), traumyoga, illusionskörper etc. aus und reinigt das geistesgift der begierde. und auf der stufe von ati erfolgt eine einführung in die natur des geistes durch die herzensanweisungen des lehrers. weiters erfolgt auf dieser stufe die reinigung von unwissenheit.
lg enrico
By: Enrico Kosmus on 7. November 2011
at 17:02
Wow, was für eine schöne Erklärung, danke dafür. Was sind die 3 Aspekte Maha, Anu und Ati? Über Maha würde ich gerne mehr erfahren, das Wort alleine fühle ich und es zieht mich an. Ich habe dieses Wort schon in stillen persönlichen Meditationen plötzlich gehört. Wo kann ich darüber mehr erfahren, bitte Danke.
Liebe Grüße
Miljenka
By: Miljenka on 7. November 2011
at 15:34