Verfasst von: Enrico Kosmus | 8. Oktober 2010

Die reine Motivation kultivieren…

Am Anfang bevor man Dharma-Belehrungen erhält, eigentlich bevor man sich in jeglicher Dharma-Aktivität betätigt, ist es wichtig, dass man sich der eigenen Motivation klar wird. Vielleicht ist die Motivation hinsichtlich einen selbst korrekt. Man möchte ernsthaften Nutzen aus den Belehrungen für einen selbst ziehen und beschäftigt sich daher mit den entsprechenden Praktiken. Aber das ist nicht ausreichend. Man sollte von dem Wunsch, anderen ebenso wie sich selbst zu nützen, angetrieben sein. Dies ist mit einer reinen, anständigen Motivation gemeint. Wenn die Motivation mit irgendeiner der acht weltlichen Angelegenheiten vermischt ist, ist es keine reine Motivation und die Praxis wird keine Dharma-Praxis sein.

Drei Arten der Motivation

Spricht man allgemein von den drei Arten der Motivation – tugendhaft, untugendhaft und neutral –, dann entsteht eine heilsame Motivation aus einem kontemplativen Prozess. Anfänglich muss man das Leiden im Daseinskreislauf erkennen, man muss an die sechs Arten von Wesen, die diese zyklische Existenz bewohnen, glauben und man muss die Bedingungen der Erfahrung dieser Wesen kennen und verstehen. Im Bereich der langlebigen Götter leiden die Wesen von der Aufzehrung ihres guten Karmas und aufgrund ihrer Allwissenheit erkennen sie ihre zukünftige Wiedergeburt in den niederen Bereichen. Sie haben keine Ausflucht vor ihrem zukünftigen Leiden, weil sie ihr ganzes Leben mit dem Verbrauchen ihres guten Karmas zugebracht haben. Die eifersüchtigen Götter (Titanen) leiden während ihres ganzen Lebens an Eifersucht und Wettstreit. Menschliche Wesen leiden auf viele Arten, aber speziell an Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Tiere leiden an ihrer Dummheit, dass sie von anderen benutzt werden und von anderen wegen ihres Fleisches und ihrer Haut getötet und untereinander aufgefressen werden. Hungergeister leiden an intensivem Hunger, Durst und an einer Begierde, die niemals befriedigt werden kann. Die Wesen des Höllenbereichs leiden beständig an extremer Hitze und Kälte.

Die Wesen der sechs Bereiche wandern in einem Zustand der Verwirrung, angetrieben einzig von den karmischen Neigungen ihrer früheren Existenzen. Sie erfahren ihre Ergebnisse immer und immer wieder. Indem man wirklich über die Vergeblichkeit dieser Situation nachdenkt, den Nutzen des Verfolgens eines spirituellen Pfades in Betracht zieht und beschließt man, zum Wohle all dieser fühlenden Wesen zu praktizieren, um sie aus ihrem Leiden zu befreien.

Befreiung zum Wohle aller Wesen

Hat man über dies nachgedacht und ist zu einem Verständnis gekommen, kann man möglicherweise fragen: „Gibt es eine Methode, durch die das Leiden gelindert werden kann? Gibt es einen Pfad, der alle Wesen zur Befreiung aus dem Leiden führen kann?“ So lange es ein Wesen gibt, dass Befreiung vom Leiden wünscht, so lange ein Wesen wünscht glücklich zu sein, gibt es eine Methode, durch die dieses Resultat erlangt werden kann.

Indem man weiß, dass es einen Weg der Befreiung gibt, dass diese Befreiung einem selbst und allen anderen fühlenden Elternwesen möglich ist, und indem man wünscht, dass alle Wesen dauerhafte Freude erfahren mögen, beschließt man, den kostbaren Buddhadharma zu praktizieren und ihn durch die dreifache Disziplin von Hören, Nachdenken und Meditieren zu vollenden.

Karma – Ursache und Resultat

Gemäß der Ansammlung von negativen Ursachen wandern Wesen weiterhin in der zyklischen Existenz. Hauptsächlich gibt es zehn Untugenden, die die Wurzelursache für das Ergebnis einer Wiedergeburt in den sechs Bereichen sind. Alle Zustände des Leidens, was immer sie auch sein mögen, und alle Wiedergeburten, die in den niederen Bereichen erfolgen, sind nichts anderes als das Resultat der karmischen Ansammlungen. Selbst kleine Ansammlungen produzieren große Ergebnisse. Viele erfahren Angst bei unbedeutenden Dingen, fürchten sich aber nicht davor, was in diesem Leben alles geschehen kann und was in zukünftigen Leben geschehen wird. Dies ist der eigentliche Grund, warum man bis jetzt noch nicht aus dem Daseinskreislauf befreit ist. Man hat einfach nicht erkannt, was abläuft. Wenn man den Nutzen des Guten versteht, sollte man sich entschließen, nur Gutes anzuhäufen, und dies sollte man sowohl für sich selbst, wie auch zum Wohle anderer machen.

Motivation – der Schlüssel zu einer beständigen Praxis

Beim Studium und der Praxis des Dharma sollte die eigene Motivation niemals mit irgendwelchen weltlichen Angelegenheiten vermischt sein – dem Wunsch, andere zu beeindrucken, berühmt zu sein, Geld oder Opfergaben zu erhalten, ein Geschäft daraus zu machen oder dem Wunsch, den Geist anderer zu verdrehen. Dies sind alles unreine Gründe, untugendhafte Motivationen und sollten vollständig aufgegeben werden.

Neutrale Bestrebungen sollten ebenfalls aufgegeben werden. Als Beispiel für eine neutrale Motivation wäre ein Kind, das in den Tempel geht, sich umsieht und vielleicht alles Gesehene wertschätzt, aber nicht weiß, warum es hier ist und nicht viel dabei herausholt. Oder ein Hund, der seinem Herrn folgt, aber nicht weiß, warum er diesem folgt oder wohin er geht. Wenn die Motivation nicht von Anfang und den ganzen Weg über rein ist, dann wird man trotz des Erhalts von Belehrungen, des Nachdenkens und Meditierens am Pfad des Dharma nicht erfolgreich sein. Es werden für einen selbst oder für andere keine Ergebnisse entstehen.

Das ist der eigentliche Grund, warum so viele Leute ihre Praxis nie vollenden können und warum einige nach einem Zeitraum sogar den Dharma aufgeben. Das Problem ist bei ihnen schon von Anfang an gegeben, weil ihre Motivation nicht rein ist. Ohne eine reine Motivation wird es für einen schwierig sein, seine Vorhaben fertig zu stellen und seine Ziele zu vollenden. Bitte überprüft eure Motivation sehr sorgfältig.

Wenn Sie Ihre Erfahrungen beim Kultivieren der Dharma-Praxis mit anderen teilen wollen, würde ich mich über Ihren Kommentar hier freuen.


Antworten

  1. Lieber Enrico, ein wundervoller Text der mir ganz tiefe Freude beim Lesen bereitet und ich werde ihn bestimmt noch öfters durchlesen, danke dafür. Ich habe so glaube ich in diesem Leben noch nie Dharma- Belehrungen erhalten. Doch durch mein ganzes Leben zog sich stets eine für mich unerklärbare Anziehung, ein Interesse und ein Wunsch alles speziell über Tibet in Erfahrung zu bringen.Eine Tibetreise, welche ich geplant habe und ich mich schon geistig dort gesehen habe, fand in letzter Sekunde nicht statt, machte mich unsagbar traurig und ich musste lernen diese Traurigkeit zu erkennen was sie den ist und diese loszulassen. Meine Motivation damals war jene, dorthin zu pilgern ganz alleine und mein naives Denken zeigte mir Visionen in denen ich Menschen dort begegnete welche mich kannten und ich sie kannte ohne dass wir uns jemals gesehen haben – meine Motivation war eine Reise in die Vergangenheit zu den Plätzen, Orten und Menschen die ich liebe und die ich wiedersehen wollte, diese Motivation war eine sehr egoistische ich wollte entfliehen aus dieser westlichen Welt in eine einfachere schönere mir bekanntere und meinem Herzen nähere usw…. kurz darauf hatte ich „zufällig“ das Glück dem Dalai Lama zu begegnen, ich sah und spürte eine Strahlkraft die von diesem Menschen ausging, fühlte große Verbundenheit und ja tatsächlich kam es mir vor wie wenn er mein Bruder wäre. Er sah mir in die Augen und ich habe ein inneres Gespräch wahrgenommen, ein Gespräch über Frieden und darüber, dass ich meinen inneren Frieden erst finden kann wenn ich mir Wissen angeignet habe und aus diesem Wissen heraus meine Sanftheit und mein Mitgefühl für alles Leben entwickeln darf. ich war sehr ergriffen von diesen paar Minuten des Blickkontaktes und fast euphorisch noch Tagelang danach, dass meine Freundinnen schon meinten ich sei verrückt geworden. So und nun stand ich da und dieser große Meister war weck. Was mache ich? Ich denke okay so möchte ich auch sein, es lohnt sich solch ein Wissen, Frieden, Sanftheit und Mitgefühl auszustrahlen. Und meine Motivation war diesem Meister gleichzuwerden – doch das führte mich wieder in eine Sackgasse. Mir wurde klar dass jene Aspekte die ich da erkannte edel sind, doch meine Motivation so werden zu wollen wie eben jemand anderer, nicht. Diese Spielchen/Erfahrungen habe ich dann einige mal wiederholt und irgendwann musste ich über die Art wie ich zu mir kommen wollte, wirklich schallend lachen. Ein Humor mit viel Freude kam in mein Leben und plötzlich war in mir eine Leichtigkeit geboren aus der heraus ich erkannte, dass meine Ureigenste Motivation hier in diesem Leben jene ist, zu lachen und mich nicht so wichtig zu nehmen, Mitgefühl zu haben, zu lernen und zu teilen. In meinem Herzen ist ganz klar ein Wissen, das ich einen inneren Lehrer habe und dass mein äußerer Lehrer, auf mich zukommen wird und ich werde ganz klar mit meinem Herzen und meinem Verstand wissen das es Zeit ist für meine Belehrungen. In der Zwischenzeit denke ich nach und meditiere über meine Alltagseindrücke und versuche die inneren Antworten die ich darüber erhalte durchzusieben und jene die mir lebensbejahend, entwickelnd und weise erscheinen in meinem Leben zu praktizieren. Mal gelingt es mir mehr mal weniger. Meine Motivation ist jetzt Freude, tiefe innere Freude darauf, dass mein äußerer Meister/Lehrer kommen wird mich lehrt was ich noch wissen soll um zu dienen. Und jetzt freue ich mich und mache einen riesen Burzzelbaum jipiiiiidoooooo ;.) hmm vielleicht ist diese Motivation noch eine unreine, dass weiss ich nicht – zumindest ist es eine aus mr selbst entstandene über die ich nachgedacht habe.
    Ich werde sehen was sich bei mir noch wandelt.
    Liebe Grüße, Miljenka

  2. ich bin immer wieder „entzückt“ über deine klaren antworten, danke. du hast es sehr schön und verständlich erklärt.
    ein weiterer bzw weiterführender punkt fällt mir jetzt noch ein, der mir wichtig ist, bzw ist es eigentlich eine offene frage. nach einer zeit der praxis steht häufig das thema der zufluchtnahme an. ich möchte gern weiter praktizieren, weiß aber nicht ob ich guten gewissens zuflucht nehmen kann, da diese zufluchtnahme ja durchaus auch ein zugeständnis ist bzw ein „versprechen“. ich les momentan ein buch von paul williams, einem bekannten professor der indischen und tibetischen philosophie, und er erzählt in seinem buch von seinem weg zum buddhismus, der zufluchtnahme, und seinem weg zurück zum christentum, weil er wieder „zurück konvertiert“ ist sozusagen. auf jeden fall beschreibt er, dass er durch seine zufluchtnahme verspricht, die dharma-praxis zu betreiben. durch seine abkehr von der praxis wird er nach dem tod (nach buddhistischer vorstellung) in die tiefste buddhistische hölle fallen und dort lange leben „dürfen“.
    Nun, mit dieser Aussicht – und ich könnte aus meiner jetzigen Sicht nicht versprechen, immer zu praktizieren, da ich nicht weiß, wie ich und meine Ansichten sich verändern bzw welche Erfahrungen ich im Leben noch mache – würde ich nicht Zuflucht nehmen, da dies wie ich finde ein ernst zu nehmender Schritt ist den man nicht so mal schnell macht. Da wären wir wahrscheinlich wieder beim Thema: praktiziert man in dem Buddhismus, wie er auch Tibet oder dem der Praxis entsprechenden kulturellen Standort zuzuschreiben ist, oder praktiziere ich einen „light-Buddhismus“, bei dem ich Zuflucht nehmen kann, und halt das ganze Höllenkonstrukt ausklammere, weils mir nicht gefällt.
    Der Gedanke, mich gerade von der Höllenvorstellung des Christentums (für mich persönlich) befreit zu haben, und dann Zuflucht zu nehmen, um bei einer etwaigen Beendigung der Praxis wieder mit der Hölle (nur mit einer buddhistischen Hölle) konfrontiert zu sein gefällt mir gar nicht muss ich ehrlich sagen.
    Für mich existiert eine abstrakte oder „virtuelle“ Hölle insofern, als dass sich jeder Mensch erfolgreich eine Hölle konstruieren kann, durch dementsprechende Lebensführung.

    • Liebe Sarah,
      die Zuflucht ist DER Unterschied zwischen Praktizierenden des Buddhadharma und allen anderen. Das Ritual der Zufluchtnahme ist zweifach: einerseits nimmt man bei jeder Praxis Zuflucht, indem man das Zufluchtsgebet spricht. Und dann kann man auch ganz formell vor einem Lehrer die Zuflucht nehmen und dabei einen Dharma-Namen übertragen bekommen. Die Zuflucht stellt eine sichere Ausrichtung dar und ist in keiner Weise dazu gedacht, Gewissensbisse und Schuldgefühle zu verbreiten. Die Vajrahöllen gibt’s im Zusammenhang mit Einweihungen des Höchsten Yoga-Tantra, wenn Gelübde nicht eingehalten werden.
      Was sind nun „Gelübde“? Eigentlich sind es Herzenseinsichten. Hält man sich nicht daran, dann handelt man wider die eigene Herzensweisheit. Von daher ist der Begriff „Vajrahölle“ zu verstehen. Betrachte die Vajrahölle einmal als beständig brennenden Selbsthass, als Selbstverurteilung. Betrachte die Hungergeister als Wesen mit beständigem Mangeldenken und unerfüllbarem Wunschdenken, die einfach „den Hals nicht voll bekommen“. Tiere – einfach blind für’s Wesentliche im Leben, getrieben von Lust und Angst. Der Gedanke an Höllen, Hungergeister etc. soll uns vor unüberlegten Handlungen behüten und unser Mitgefühl für die Wesen in diesen Bereichen wecken. Es gibt niemand anderen als uns selbst, der/die uns in diese Bereiche steckt.
      Im Verständnis des Dharma nimmt man erst Zuflucht, wenn man vier grundlegende Gedanken wirklich durchgedacht hat, und wenn daraus eben eine Einsicht entstanden ist. Diese vier Gedanken sind: 1) die kostbare menschliche Geburt mit ihren 18 Freiheiten und Ausstattungen, 2) die Vergänglichkeit aller Phänomene, 3) die dreifache Leidhaftigkeit der zyklischen Existenz, 4) die Unausweichlichkeit der Ergebnisse unserer Taten. Diese vier Gedanken hier im Kommentar detaillierter (und inspirierender) auszuführen… tja, dafür reicht der Platz nicht wirklich. Vielleicht hab ich ja auch schon in einem meiner Artikel etwas dazu geschrieben. Aber soweit erstmal: erst wenn diese vier Gedanken WIRKLICH durchgedacht wurden, stellt sich die Frage nach dem Zufluchtsritual. Ich habe genug Praktizierende gesehen, die in ihrer Praxis schwanken und diese schließlich aufgeben, weil die Basis nicht durch diese vier Gedanken geschaffen wurde. Sie haben einfach mit den höchsten Praktiken begonnen und vergessen, dass jedes Haus ein solides Fundament braucht. Der Dachgiebel ist einfach zuwenig. 😉
      Und noch etwas: die Zufluchtnahme verhindert den Fall in die niederen Bereiche (Höllen, Hungergeister, Tiere). Das ist kein Antreiber, sondern einfach die Einsicht, dass man nur aufgrund von Geistesgiften wie Hass, Gier und Dumpfheit/Ignoranz in diesen Bereichen widergeboren wird. Und sei es nur eine „virtuelle“, abstrakte Widergeburt. Im Grunde steht Buddha für unsere wahre Natur (Buddhanatur, die Natur unseres Geistes = erkennen, wahrnehmen), den Dharmakaya (Wahrheitskörper), der Dharma für den Sambhogakaya (Wonnekörper, Energiekörper) somit für den leuchtenden, strahlenden, mitfühlenden Aspekt und Sangha für den Nirmanakaya (Erscheinungskörper) somit für ungehinderte Erscheinen. Wir nehmen IMMER wahr, erkennen immer – egal ob gut oder schlecht, drücken uns aus, treten in Verbindung, handeln… Im Grunde nehmen wir zu diesen Aspekten Zuflucht, nicht zu irgendwelchen Äußerlichkeiten. Diese bieten keinen dauerhaften und sicheren Schutz vor der Wandelwelt.
      In DIESEM Sinne nimm einfach Zuflucht!
      Mit lieben Grüßen, Enrico

  3. Lieber Enrico,
    ich finde deine Artikel sehr hilfreich, weil er eine gute Orientierung bietet, gerade für jemanden wie mich, der noch am Beginn der Praxis steht – da ich erst vor Kurzem begonnen habe und deswegen zum Teil noch etwas unorientiert bin.
    Ich habe auch über meine Motivation nachgedacht, und diese war und ist nach wie vor jene, mir zu helfen, „besser“ im Sinne von achtsamer, bewusster zu werden und somit im meinem Beruf (Psychologin) kompetenter Menschen helfen zu können, ihr Leiden loszuwerden. Es ist aber gar nicht so einfach abzuschätzen, inwiefern auch nur im Geringsten eine andere Motivation mitspielt. Ich weiß oder glaube zu wissen, dass für meine Praxis keine andere Motivation mitspielt, aber zB wünsche ich mir jetzt rein von meinem Beruf, dass ich genügend verdiene, um mir mit meinem Partner den Kinderwunsch zu erfüllen und diesen Kindern wiederum ein normales Leben bieten zu können. Aber ich denke nicht, dass dieser Wunsch beispielsweise die Praxis stören sollte.
    Ich hätte eine andere Frage an dich: Und zwar habe ich große Probleme mit dem „Götter-Konzept“, denn ich verstehe nicht wie man sich diese Götter vorstellen muss, was eigentlich in diesem Zusammenhang „Götter“ bedeutet, ich kann es nicht einordnen. Ich wurde während meiner Kindheit und Jugend sehr stark im christlichen bzw römisch-katholischen Glauben sozialisiert und erzogen, und trotz vieler eigenständiger „Änderungen“ die ich über die Jahre vorgenommen habe (dh viele Dinge, wie sie im Christentum bzw genauer in der römisch-katholischen Kirche angegangen, vorgestellt oder geglaubt werden, glaube ich persönlich nicht oder kritisiere ich stark) glaube ich trotz allem beispielsweise nach wie vor an Gott. Dieser Glaube an Gott reflektiert zwar nicht den Gott, wie er in der Bibel oft dargestellt wird, aber der Glaube an einen Ursprungspunkt, der als Gott bezeichnet wird und als solches für mich einfach unwiderruflich vorhanden ist, ist nach wie vor da.
    Deswegen kann ich einerseits nichts mit dem Götterkonzept anfangen bzw weiß ich nicht genau was damit gemeint ist (ist es mit den Heiligen im Christentum zu vergleichen sprich Menschen, die nach dem Tod angebetet werden?) bzw werde ich nie meinen Gott-Glauben ablegen und deswegen weiß ich nicht, ob ich überhaupt eine erfolgreiche Praxis durchführen kann?
    Ich muss aber auch ehrlich meine Zweifel daran äußern, dass alle Westler, die Buddhismus in irgendeiner Form praktizieren, ihren Gott-Glauben abgelegt haben (sollten sie einmal einen gehabt haben).
    Was sagst du dazu? Dieses Thema beschäftigt mich doch sehr stark und wird so schnell wohl auch nicht verfliegen…

    • liebe sarah,
      im buddhadharma gibt es keinen gottglauben und auch keinen schöpfergott. aber auch das gottesbild der offenbarungsreligionen hat sich im laufe der jahrhunderte verändert. so findet sich im alten testament eine veränderte gottesvorstellung als z.b. im neuen testament wie auch z.b. im koran-i kerim.
      generell kann man die götter im buddhadharma als hohe wesen ansehen. eine geburt im götterbereich ereignet sich für die fühlenden wesen, wenn diese entweder von großem stolz geprägt sind oder wenn sie zu lange in der formlosen meditation verweilen. es gibt auch bei den göttern abstufungen. so gibt es götter im begierdebereich, im formbereich und im formlosen bereich. die anderen inkarnationsmöglichkeiten für fühlende wesen ereignen sich alle im begierdebereich (hölle, hungergeister, tiere, menschen, gegengötter). eine geburt im götterbereich ist von großen annehmlichkeiten, von äonenlangem leben, jugendlichkeit, schönheit etc. gekennzeichnet. wenn das positive karma, dass diese wiedergeburt bewirkt hat, aufgebraucht ist, dann verfallen diese wesen (götter) und werden schlagartig alt, die blumengirlanden verwelken, ihr körpergeruch wird übel, die freunde verlassen sie und sie sehen den ort ihrer nächsten wiedergeburt, der definitiv niedriger sein wird. daran leiden sie lange zeit – eigentlich 700 menschenjahre lang.
      wie kann man nun anfangs damit umgehen? welche botschaft liegt für einen da drinnen? nun ist es sicher so, dass der dharma mehrere zugangsebenen bietet. meditation an sich wie auch die erkenntnis der geistnatur sind grundsätzlich sinnvoll und nützlich. auch widersprechen sie keinem gottglauben. also kann man diese praktiken dazu auch betreiben.
      weiters ist das bhavanachakra – das rad des lebens (der daseinskreislauf) – ein bedeutsames konzept. während es in den offenbarungsreligionen (judentum, christentum, islam) einen schöpfergott mit einem liniearen entwicklungsweg gibt, so ist dies im buddhadharma ein wiederholtes erschaffen von (welt)erlebnissen. als menschen haben wir diese sechs daseinsbereiche in uns und leben mit ihnen. eine geburt im höllenbereich (8 heiße, 8 kalte, 1-tages-hölle, avici-hölle) ergibt sich durch hass. eine geburt als hungergeist ergibt sich durch große gier und durch geiz. eine wiedergeburt als tier ist das ergebnis von dummheit, ignoranz, dumpfheit – geistiger stumpfheit. eine geburt als mensch ergibt sich durch leidenschaftliches anhaften. eine geburt als gegengott ist das resultat von neid und eifersucht. und eine geburt als langlebiger gott ist das ergebnis von stolz. wenn man diese geistesgifte pflegt, dann erschafft man diese erlebnisräume (= welt). manchmal wird dies auch psychologisch betrachtet. so findet man bei menschen mit wahnvorstellungen oft das geistesgift hass zugrundeliegend. sicherlich kennst du auch menschen, die völlig abgehoben und arrogant sind, nichts mit dem leben der menschen zu tun haben; einfach über den dingen stehen. diese leben im götterbereich. nun tja, hochmut kommt bekanntlich vor dem fall… 😉
      wenn du also mal darüber nachdenkst und die geistesgifte als ausgangspunkt für eine inkarnation siehst, dann hat dieses konzept der 6 daseinsbereiche einen bedeutenden wert. darüber hinaus zeigt es aber auch auf, dass ein angenehmeres leben, wenn es nicht zur befreiung (erlösung) genutzt wird, immer zu irgendeine art des leidens mit sich führt. diese idee wird von vielen religionen – egal ob mit oder ohne gott – geteilt. und das ist eigentlich die essenz der religionen; nämlich brauchbare antworten auf lebensfragen zu bieten. für manche ist das gotteskonzept wichtig, für andere ein gottfreies konzept. wesentlich ist die lebensfrage und das finden der antwort (im herzen).
      liebe grüße
      enrico


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