Verfasst von: Enrico Kosmus | 10. Februar 2010

Glückseligkeit und subtile Energien

Eine genaue Kenntnis der subtilen Bahnen, Energien und Tropfen ist daher für die yogische Praxis unabdingbar. Die Praktiken des inneren Feuers (tib., tummo) benötigen ein Wissen um diese Kräfte. Erst auf dieser Grundlage können dann die entsprechenden Visualisationsübungen erfolgreich durchgeführt werden.

Entwicklung der Kanäle (tib., tsa)

Noch im Uterus bilden sich im Herz-Zentrum zunächst fünf und dann drei Kanäle, sodass schließlich hier acht Nadis gegeben sind. Die vier Kanäle der Hauptrichtungen teilen sich und bilden somit die Nadis der Haupt- und Nebenrichtungen. Diese acht Nadis teilen sich dreifach und bilden die Kanäle zu den 24 Orten. Diese 24 Nadis teilen sich wiederum dreifach, sodass schließlich 72 Nadis entstehen. Jeder dieser 72 Nadis teilt sich dann noch in 1.000 Kanäle, bis endlich die 72.000 Kanäle des Körpers entstehen. In bestimmten Körperregionen haben die fünf Winde ihre Sitze.

Primäre Weisheitswinde (tib., lung)

Im ersten Monat bringt der unfassliche Wind nach der Verbindung mit den beiden Tropfen grobstoffliche Winde hervor. Zu dieser Zeit gleicht das werdende Wesen einem Fisch. Der lebenserhaltende Wind wohnt im Herz-Zentrum. Dieser Wind reguliert die Lebensfunktionen und hält diese aufrecht, kontrolliert die Atmung und die Sinnesfähigkeiten. Im zweiten Monat entsteht aus dem lebenserhaltenden Wind der nach unten ausscheidende Wind. In diesem Zeitabschnitt ähnelt der Embryo der Gestalt einer Schildkröte. Der nach unten ausscheidende Wind wohnt unterhalb des Nabels in der geheimen Region. Dieser Wind veranlasst die Ausscheidung von Urin, Stuhl, regenerativen Flüssigkeiten und ermöglicht die Menstruation. Im dritten Monat entsteht aus dem nach unten ausscheidenden Wind der Feuer begleitende Wind und der Körper des Embryos gleicht einem Eber. Der Feuer begleitende Wind hat seinen Sitz rund um das Nabel-Zentrum und reguliert die Verdauung. Weiters ist dieser Wind auch für die Entwicklung des inneren Feuers wichtig. Im vierten Monat wird aus dem Feuer begleitenden Wind der aufstrebende Wind und der Körper wird massig. Hier ähnelt der Embryo einem Löwen. Der nach oben strebende Wind wohnt in der Kehle und reguliert den sprachlichen Ausdruck sowie die geschmackliche Empfindung. Im fünften Monat entwickelt sich aus dem aufstrebenden Wind der alles-durchdringende Wind. In dieser Entwicklungsphase hat der Embryo die Gestalt eines Zwerges. In den Gelenken wohnt hauptsächlich der alles-durchdringende Wind. Dieser gestaltet die Bewegung des Körpers sowie des Kreislaufs.

Sekundäre Elementwinde

Ab dem sechsten Monat entwickeln sich fünf Sekundär-Winde. Diese fünf Sekundär-Winde entstammen dem lebenserhaltenden Wind und dienen der Objektwahrnehmung der fünf Sinne. Im sechsten Monat entwickeln sich der erste Sekundär-Wind, der Bewegende-Wind, und das Erd-Element. Dieser Wind geht vom Herz-Zentrum zu den Augen. Dadurch wird die Form-Wahrnehmung und somit das Sehen ermöglicht. Im siebten Monat entwickeln sich der zweite Sekundär-Wind, der Intensiv-Bewegende-Wind, und das Wasser-Element. Dieser Wind geht zu den Ohren und ermöglicht das Hören. Im achten Monat entstehen der dritte Sekundär-Wind, der Gründlich-Bewegende-Wind, und das Feuer-Element. Dieser Wind geht zur Nase und ermöglicht das Aus- und Einströmen der Luft sowie den Geruchssinn. Im neunten Monat entstehen der vierte Sekundär-Wind, der Kräftig-Bewegende-Wind, und das Luft-Element. Dieser hat dann seinen Sitz in der Zunge und ermöglicht den Geschmack. Im zehnten Monat entwickeln sich der fünfte Sekundär-Wind, der Endgültig-Bewegende-Wind, und das Raum-Element. Auf diese Weise entstehen auch die leeren Stellen im Körper. Dieser Wind hat seinen Sitz in den Gelenken.

Bildung der Tropfen (tib., tigle)

Die Bildung der Tropfen erfolgt aus vier Bestandteilen – dem unfasslichen Wind und Geist sowie dem roten und dem weißen Tropfen. Die ursprüngliche Größe wird mit jenem eines Senfkorns verglichen und sein Sitz ist in einem kaum merklichen Hohlraum im Zentralkanal im Herz-Zentrum. Dieser Tropfen wird auch als „unzerstörbarer Tropfen“ bezeichnet, da er bis zum Tode nicht zerstört wird. Während des embryonalen Entwicklungsvorganges steigt der weiße Tropfen zum Scheitel auf. Er hat Einfluss auf alle anderen Anteile des weißen Tropfens im Körper. Vom Herz-Zentrum sinkt der rote Tropfen bis ca. vier Fingerbreit unterhalb des Nabels hinab. Dieser wird auch „Candali“ (sanskr., die Heftige) genannt. Dieser Tropfen hat Einfluss auf alle Anteile des roten Tropfens im Körper. Das Herz-Zentrum selbst vermehrt die roten und weißen konstituierenden Bestandteile, wann immer sie gebraucht werden.

Tibetischer Yoga

Die pränatale Entwicklung der feinstofflichen Kräfte steht in engem Zusammenhang mit den Praktiken, die in den spirituellen Übungen des tantrischen Buddhismus ausgeübt werden. Diese Praktiken tantrischen Meditation bringen Geist und subtile (feinstoffliche) Energie wieder zusammen und führen diese in den Zentralkanal. Durch das Auflösen der Winde und Abschmelzen der Tropfen im Zentralkanal entstehen die selben Erfahrungen, die sich beim Vorgang des Sterbens einstellen. Auf diese Weise erfährt der/die Yogi(ni) die untrennbare Natur von Glückseligkeit und Leerheit.
In der Praxis der sog. „Vollendungsstufe“  (tib., dzogrim)wird mit diesen Kräften gearbeitet. Um diese Stufe des subtilen Yoga praktizieren zu können, ist eine vorangehende Stufe der Erzeugung bzw. Hervorbringung (tib., kyerim) notwendig. Die Visualisations- und Meditationsübungen der Erzeugung reinigen den Geist von den subtilen Verschleierungen der Geburt. Die Übungen der Hervorbringung erfolgen im Rahmen einer mehr oder weniger ausgedehnten Yidam-Praxis, z.B. Chakrasamvara, Hevajra, Vajrakilaya, Guhyasamaja, Simhamukha etc.


Antworten

  1. ….. 😉

  2. …… total faziniert hab ich das Wachsen eines Menschen im Mutterleib gelesen, man kann ja ein Ereignis aus verschiedenen Perspektiven betrachten, von dieser Seite ist es besonders schön, schön, schön……

  3. ja, so sehe ich das auch

  4. Danke für den Artikel. Diese Winde finden eine Entsprechung im indischen Hatha Yoga. Dort sind sie unter dem Begriff der Prana-Vayus gut bekannt. Der tibetische Tantra kommt ja großteils aus dem Indischen. (siehe Tilopa, Naropa).

    Manfred

  5. Das ist sehr interessant, vielen Dank

    Renate

  6. es ist eine Freude all das zu lesen und ich möchte Dir von Herzen danken.

    alles Liebe
    Martina

  7. Ihr Lieben,

    habe das grad gelesen und bin beeindruckt. Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen.

    Danke, Emile


Kategorien

%d Bloggern gefällt das: