Verfasst von: Enrico Kosmus | 8. Januar 2010

Der große Übergang des Geistes

Der große Übergang beim Prozess des Sterbens wiederfährt uns allen. Im letzten Blog „Geist und Feinstofflichkeit“ habe ich kurz die grob- und feinstoffliche Anatomie dargestellt. Auf diesem Verständnis heraus schildere ich nun den Auflösungsprozess. Diesen Vorgang erfährt man beim Sterben wie auch beim täglichen Einschlafen. Durch die Meditationspraxis des tantrischen Buddhismus trainiert man den Geist in vielfältiger Weise und übt so diese Auflösungs- und Verweilungsstadien.

Auflösung der Elemente

Wenn ein Mensch stirbt, verlieren nach und nach die Elemente ihre Stützkraft für das Bewusstsein. Zunächst erlebt ein Sterbender ein Gefühl des Fallens, und dass er sich nicht mehr bewegen kann. Das Element Erde löst sich ins Element Wasser hinein auf. Im Bewusstsein entsteht der Eindruck von Rauch. Die Form gebenden Kräfte verlieren ihre Wirksamkeit. Die Augen können keine Formen und Farben mehr sehen. Auch das Öffnen und Schließen der Augen fällt schwer. Das Aggregat (Erlebnishaufen) der Form löst sich auf.
Anschließend hat der Sterbende das Gefühl, im Wasser zu versinken oder er glaubt, heftigen Regen wahrzunehmen. Dies ist das Anzeichen, dass sich das Wasser-Element zurückzieht und ins Feuer hinein auflöst. Die Körperflüssigkeiten trocknen aus und man verspürt einen heftigen Durst, der nicht gestillt werden kann. Im Bewusstsein tauchen Trugbilder, ähnlich einer Fata Morgana, auf. Die Ohren können keine Klänge mehr hören. Der Erlebnishaufen der Empfindungen (angenehm, unangenehm, neutral) löst sich auf. Zur selben Zeit nehmen die drei Grundenergien von Galle, Wind und Schleim ab.
Löst sich dann das Feuer-Element in Wind hinein auf, hat der Sterbende den Eindruck, dass alles brennt. Im Bewusstsein entsteht der Eindruck von Leuchtkäfern oder einem Funkenflug. Die Körperwärme zieht sich zurück, der Kreislauf beginnt zu stocken. Das Verdauungsfeuer endet, woraufhin man nicht mehr in der Lage ist, Nahrung zu verdauen. Die Fähigkeit zur Unterscheidung und Identifizierung lässt nach. Dies hat auch zur Folge, dass die Erinnerung an unsere menschlichen Beziehungen verloren geht.
Wenn sich dann das Element Wind in den Raum hinein auflöst, hat der Sterbende das Gefühl, als ob er von einem heftigen Windstoß oder Tornado erfasst und hin und her geweht würde. Die Einatmung wird schwierig und daher immer kürzer, während das Ausatmen immer länger wird. Im Bewusstsein entsteht der Eindruck, von einem schwankenden Licht oder einer Kerze, die kurz vor dem Verlöschen ist. Löst sich nun das Wind-Element auf, dann wird der Körper vollends bewegungsunfähig. Die Erinnerung an unser weltliches Handeln und Tun verlöscht. Dabei lösen sich auch die gewohnheitsmäßigen Bestrebungen und Tendenzen – die Geistesfaktoren – auf. Der Geschmack geht verloren, die Zunge schwillt an, wird kurz und färbt sich an der Zungenwurzel blau. Die sechs Geschmäcker können nicht mehr wahrgenommen werden. Der äußere Atem hört nun endgültig auf.  Der innere Atem bzw. die Bewegung der inneren Winde geht noch für eine kurze Zeit – ca. eine halbe Stunde – weiter, da dies dem Auflösen der Tropfen und dem Eintreten der Winde in den Zentralkanal folgt.

Auflösung der inneren Winde

Wenn nun der äußere Atem endet und sich das Bewusstsein in den Raum hinein auflöst, entstehen nacheinander die Erfahrungen der drei Lichter. Mit diesem Prozess verbunden, lösen sich auch die 80 subtilen Geistesbegriffe, die mit den drei Geistesgiften – Hass, Verlangen und Unwissenheit – verbunden sind, auf.
Zunächst sinkt die weiße Vater-Zelle vom Scheitelzentrum herab zum Herz-Zentrum. Wenn dieser weiße Tropfen die obere Spitze des Herz-Zentrums erreicht, entsteht der Eindruck von gleißend weißem Licht. Da sich nun auch die 33 subtilen Verschleierungen, welche mit dem Geistesgift Hass verbunden sind, auflösen, erlebt der Sterbende ein Gefühl der grenzenlosen Liebe und Akzeptanz.
Danach löst sich die rote Mutter-Zelle, welche zeit des Lebens unterhalb des Nabels ruhte, von ihrem Platz und beginnt zum Herz-Zentrum zu steigen. Erreicht dieser rote Tropfen das untere Ende des Herz-Zentrums, hat man den Eindruck eines orange-roten Lichts, ähnlich vor einem Sonnenaufgang. Gleichzeitig mit der Auflösung der Mutter-Zelle lösen sich auch die 40 subtilen Verschleierungen, die mit dem Geistesgift Verlangen (Gier) verbunden waren auf. Auf diese Weise entsteht eine grenzenlose Ruhe.
Anschließend „fallen“ diese beiden Tropfen – Vater- und Mutter-Zelle – im Herz-Zentrum ineinander und der Sterbende versinkt in einen Moment der Ohnmacht. Dies zeigt sich wie eine dunkle Nacht ohne Mond und Sterne. Dieser Moment wird der Geist des Beinahe-Erlangens genannt. Durch dieses Geschehen lösen sich die Umschlingungen des rechten und linken Kanals um den Zentralkanal. Auf diese Weise löst sich der ursprüngliche Bewusstseinswind aus dem Herz-Zentrum. Dabei lösen sich die sieben subtilen Verschleierungen, die mit Unwissenheit verbunden sind, auf. Es gibt keine groben dualistischen Unterscheidungen mehr. Der weiße Tropfen wandert dann nach unten und tritt als Ausfluss bei den Genitalien aus. Der rote Tropfen steigt nach oben und tritt bei Mund oder Nase als Blut aus.
In einem achten Auflösungsvorgang löst sich schließlich der Geist des Beinahe-Erlangens in Geist-Klar-Licht auf. Dies ist ähnlich wie ein Himmel während der Morgendämmerung, frei von Mondlicht, Sonnenlicht und Dunkelheit. Alle fünf Element- und alle vier Weisheitswinde verflüchtigen sich in den lebenserhaltenden Wind im Herz-Zentrum. Dieser Zustand ist das Klare Licht des Todes und wird die All-Leere, da ihm alle 80 Begriffe, sowie rote, weiße und schwarze Lichter und jegliche Trägerwinde fehlen, genannt. Der Prozess des Sterbens ist nun abgeschlossen und der Tod vollständig eingetreten. Gewöhnliche Menschen verbleiben meist für ca. drei Tage in diesem Zustand. Da sie jedoch nicht über die nötige Geistesschulung verfügen, ist dieser Zustand für sie nutzlos, weil unerkannt. Anders ist dies mit Yogis, welche entsprechende Verwirklichungen bereits zu Lebzeiten erlangt haben. Diese können willentlich über eine längere oder kürzere Zeitspanne in diesem Zustand verweilen.

Tantrische Praxis als Übung & Wandlung dieser Prozesse

In der tantrischen Praxis des Anuttara Yoga werden diese Auflösungsvorgänge im Rahmen des sog. „Gottheiten-Yoga“ durch Kyerim (Erzeugungsphase) und Dzogrim (Vollendungsphase) immer wieder geübt. Auf diese Weise wird der Geist so weit trainiert, dass man beim Sterbeprozess sich dieser Vorgänge bewusst ist. Die Daseinsprozesse von Sterben – Zwischenzustand – Werden/Geburt werden auf diese Weise in den Pfad gebracht.
Im Rahmen des 5-fachen Pfades zu Mahamudra wird  Khorlo Demchog (Chakrasamvara) als Yidam (tib., Geiststütze bzw. geistige Verpflichtung) praktiziert. Andere Stützen für diese Praxis des Geistestrainings sind Hevajra, Kalachakra, Vajrakilaya, Vajra Varahi, Yamantaka etc. Die Ermächtigung zu diesem Pfad ist eine Kraftübertragung und ist die Grundlage, diese Phasen der Erzeugung und Vollendung (= Auflösung) zu praktizieren.

Literaturhinweise:

Jamgön Khongtrul: „The Treasury of Knowledge: Book 8, Part 3: The Elements of Tantric Practice.“
Jigten Sumgön: „Licht, das die Dunkelheit durchbricht. Der direkte Weg zur Erleuchtung – Eine sogenannte Herzensunterweisung.“ Otter Verlag, München
Khenchen Könchog Gyaltsen Rinpoche:
„Auf der Suche nach dem reinen Nektar des langen Lebens. Grundlagen des tibetischen Buddhismus.“ DKV, Aachen 1996
Lati Rinpoche/Jeffrey Hopkins:
„Stufen zur Unsterblichkeit. Tod, Zwischenzustand und Wiedergeburt im tibetischen Buddhismus.“ Diederichs Gelbe Reihe, Köln 1983


Antworten

  1. ………sterben, durfte vor vielen Jahren meiner Mutter (sie war knapp 47 Jahre alt), die Hand halten als sie gestorben ist, ich bin so froh daß ich dabei sein durfte, wie du es beschreibst hab ich es gespürt, nach und nach sind ihre Lebensgeister entschwunden, ich durfte ihre Hand halten.
    Nachdem sie gestorben war, bin ich noch zwei Stunden bei ihr geblieben und hab sie immer wieder berührt, nach diesen zwei Stunden war nur mehr ihr Körper da, dieser wurde dann versorgt, am Tag des Begräbnisses war die Stimmung regnerisch, bewölkt, bedeckt aber nach einiger Zeit hat der Himmel aufgemacht und die Sonne hat heruntergestrahlt, trage diese Sonnenstrahlen für mein ganzes Leben in meinem Herzen und möchte sie auch ausstrahlen……………….

  2. hi eno, liebe grüße von mir, dieser beitrag, oder link, wie man heute sagt gefällt mir wirklich sehr, ich durfte die ersten stadien dieses geschehens schon selbst erfahren, was mich ja damals dazu brachte in unser seminar zu kommen. ich würde diesen link gerne teilen, aber ich frage mich, ob ich eine derartig große wahrheit, einfach so mit einem klik auf fb teilen darf. lg.johannes..

    • lieber hannes, danke für dein feedback. ja klar darfst du das einfach mit einem klick teilen… 😉
      lg enrico

  3. Das ist ein sehr interessanter und informativer Artikel. Mein Lob an den Verfasser. Leben, Sterben, Tod, Geist, Seele und Wiedergeburt sind Themen welche mich schon immer sehr interessiert haben. Wer noch tiefer in diese Materie einsteigen will, sollte unbedingt dieses hervorragende Buch lesen: „Gralsstein der Stein der Weisen“.


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